Wilhelm Raabe liefert in seinem Buch „Mecklenburgische Vaterlandskunde – Bd. 1: Specielle Ortskunde beider Großherzogthümer Mecklenburg“ ein Zustandsbeschreibung der Stadt Penzlin im Jahr 1892. Seine Schilderungen seien hier wiedergegeben – es ist eine Reise in die Zeit des Friedens und Wohlstandes, in die Zeit als zu Schwerin noch ein Großherzog als Landesvater über dem Land thronte und in die Zeit, als der Deutsche Kaiser Wilhelm II. mit Reichstag und Bundesrath die Pflege der Wohlfahrt des deutschen Volkes besorgte.
Penzlin, am südöstlichen Ende des Großherzogthums, liegt in einer fruchtbaren, schönen, hügeligen Landschaft in der Nähe mehrerer Seen. Die Stadt hatte zwei Thore: das Warensche und das Neubrandenburger Thor. Beide sind seit etwa 35 Jahren beseitigt, selbst die Namen (als Ortsbezeichnung) sind nicht mehr üblich.
Die Stadt zählt 2.680 Einwohner, worunter 14 Juden, und 370 Häuser. Die Versicherungssumme der in der städtischen Brandversicherung versicherten, auf dem 1.926,6 ha umfassenden Stadtgebiet gelegenen Gebäude betrug nach Abschluss vom 1. Juli 1891 1.988.000 Mark (~ 3.3855.640 Euro).
Die Stadt ist ziemlich enge gebaut und hat, wie schon die geringe Zunahme der Häuserzahl aufweist (1855 wurden 325 Häuser gezählt), wesentliche Erweiterungen in den letzten Jahrzehnten nicht erfahren. Es sind auch neuere Straßen in dieser Zeit nicht angelegt; von nennenswerten Neubauten sind dagegen anzuführen an der Südwestseite das Amtsgerichtsgebäude, an der Nordwestseite die Bahnhofsgebäude, die Molkerei und das 1891 neu erbaute Posthaus. Die Hauptstraße läuft ziemlich gerade, aber in ungleicher Breite, parallel mit ihr läuft die Thurmstraße, die übrigen Straßen sind alle krumm, winkelig und schmal. In den Hauptstraßen sind die Häuser meistens ansehnlich und freundlich. An dem kleinen Marktplatz steht das 1809 in gutem Geschmack ausgeführte Rathhaus; es ist ein einfaches, zweistöckiges und nicht wohl erhaltenes Gebäude.
Seitwärts von demselben auf dem höchsten Punkte der Stadt liegt die alte beträchtliche Kirche, die in der Zeit von 1877/78 durch einen Anbau in der Länge noch etwas vergrößert ist. Das Innere wurde gleichzeitig völlig erneuert, und wurden diese Erneuerungsarbeiten im gothischen Stil geschmackvoll durchgeführt. Der nur etwa 7m über das hohe Kirchendach emporragende Thurm mit stumpfem Dach bliebt bei den erwähnten Erneuerungsbauten unverändert und macht keinen guten Eindruck. Die frühere Thurmspitze brannte bei der großen Feuersbrunst von 1725 nieder. An der Südseite der Kirche befindet sich eine große alte Begräbniscapelle der Maltzan’schen Familie. Beim Altar hängt eine Fahne mit der stolzen Inschrift: „Dieser Fahne folgend, vertheidigte im Befreiungskriege 1813 der Landsturm des Penzliner Kreises die Grenzen des Vaterlandes“.
Das Schulhaus, ein großes zweistöckiges Gebäude, früher das schönste der Stadt, wurde 1839 erbaut. Die Stadt war noch Mitte der 1850er Jahre von einer alten, zum Theil hohen Mauer fast ringsum eingeschlossen. An der Südseite ist diese Mauer noch jetzt ziemlich erhalten, sie hat hier zwei Durchbrüche; an der West- und Nordseite sieht man nur noch Bruchtheile, im Osten ist sie ganz weggeräumt.
Penzlin hat vor dem Warenschen Thor eine Vorstadt von etwa 50 Häusern. Dieselbe ist, seitdem die Thore gefallen, der Stadt einverleibt. Um die südliche Hälfte der Stadt zieht sich ein mit Bäumen, namentlich schönen Eichen, und mit geebneten Gängen versehener Wall. Die Wall-Anlagen sind in den letzten Jahren bedeutend verschönert und vergrößert; auch ist innerhalb dieser Anlagen ein aus Sandsteinen zusammengesetztes Fürstendenkmal errichtet.
Dasselbe zeigt an der Ostseite in einer Nische die Büste des Großherzogs Friedrich Franz II., an der Südseite ein Bronzerelief, den Kaiser Wilhelm I. darstellend, während die Nordseite das gleiche Bild des Kaisers Friedrich III. enthält und die Westseite die Inschrift „Gewidmet dem Kriegerverein 1891“ trägt.
Nördlich bis an die Stadt erstreckt sich der alte, von tiefen Gräben, Wällen und Wiesen umgebene, etwa 300 Schritte im Umfange haltende Burgplatz, der in einen anmuthigen Garten umgeschaffen ist, mit welchem noch ein von vielen Gängen durchschnittenes Gehölz zusammenhängt. Inmitten dieses Gartens steht das 1804 erbaute Maltzan’sche Wohnhaus. Von der vormaligen Burg steht noch ein guter, vor längerer Zeit restaurierter Theil, so am Eingange nach der Staft zu ein altes Thorgebäude, unter welchem sich als Burgverließ ein wohl erhaltenes tiefes Gewölbe befindet, welches noch jetzt als Hexenkeller Fremden gezeigt wird. Aus diesem ehemaligen abschreckenden Gefängniß mögen die Unglücklichen oft genug von ihren wahnbefangenen Zeitgenossen auf den Scheiterhaufen geführt sein, um „gesmökt“ zu werden. In der Burg waren längere Zeit herrschaftliche Zimmer eingerichtet, auch diente sie als Gefängniß. Jetzt enthält sie außer einigen Fremdenzimmern nur noch Wohnungen für die Dienerschaft des Erblandmarschalls.
Die Umgegend von Penzlin zeigt eine anmuthig gelegene Landschaft, die durch viele schöne Gehölze und Seen, durch die zum Teil steilen Höhen und daneben durch geschichtliche Erinnerungen, namentlich durch mehrere alte Burgstellen recht anziehend ist. So liegt gegen Norden nahe bei der Stadt im See eine Höhe, die Grapenwerder genannt, in alten Urkunden als eine Insel bezeichnet wird und auch offensichtlich eine solche gewesen ist. Er ist jetzt von Wiesen und tiefliegenden Äckern begrenzt. In dem dichten Gebüsch der steilen Böschungen befinden sich vielfach Steintrümmer. Weiter rechts zwischen zwei Seen finden wir die Gräben, Wälle und Mauerbruchstücke der Lapitzer Burg; ¼ Meile von der Stadt den Räuberberg an einem tiefen See; südlich der Stadt, am östlichen Ufer des Sees, liegt, zu dem Gute Werder gehörig, der mit Holz gekrönte Radegastberg, eine Halbinsel, die mit einem Park in Verbindung steht; die verbindende Landenge ist durchstochen und die Verbindung jetzt durch eine Brücke vermittelt. Die Halbinsel besteht aus einer Umwallung und bildete vor Jahren einen Lieblingsplatz des Maltzan, der diesen Platz in wunderlichster Weise mit einer Bildsäule, die den Radegast vorstellen sollte, und mit allerhand Gemäuer ausstattete und der auch diesem Burgwall erst den Namen Radegastberg gegeben hat.
In der Nähe des kleinen Städtchens finden wir einen nach Hohenzieritz führenden, schwer passierbaren Hohlweg, die sogenannte Eiserne Pforte oder vielmehr Eisenpforte (plattdeutsch: Iserpoort) an der wichtigen Völkerscheide vor dem Eingange in das altberühmte Land der Rhedarier.
Penzlin, von reichen Landgütern umgeben, auch in Besitz guter Verkehrswege, ist immer ein ziemlich nahrreicher Ort gewesen. Es hat Chausseeverbindung mit Waren (28km), mit Neubrandenburg (15km) und mit Neustrelitz (16km). Seit dem 28. Januar 1885 hat Penzlin auch Eisenbahnverbindung, da an diesem Tage die Mecklenburgische Südbahn Parchim-Neubrandenburg eröffnet wurde. Entfernung bis Waren 31,7 und bis Neubrandenburg 14,8 km.
Penzlin ist Sitz eines Amtsgerichts, eines vereinten ritterlichen Polizeiamts, eines Post- und Telegraphenamts II. Classe, eines Krankenhauses, zweier Gemeindeschwestern, eines Armenhauses und einer Ersparnißkasse, die am 1. Juli 1880 gegründet wurde und in welche am 1. Januar 1891 79.028 Mark eingelegt waren. (= 1.345.847 Euro)
An gewerblichen Anlagen verzeichnet der Staatskalender 1 Ofenfabrik, 10 Gastwirtschaften, darunter die Herberge zur Heimath, 13 Schenkwirtschaften, 1 Dampfmolkerei, die Stadt-Wassermühle (Erbpachtbesitz), 1 Ziegelei. Die Molkerei, früher in Privatbesitz, ist neuerdings zur Genossenschafts-Molkerei der umliegenden Güter angekauft. Die ziemlich umfangreiche Ofenfabrik von Dreier beschäftigt durchschnittlich 10 Gesellen und Arbeiter. Die Penzlin’schen Töpferarbeiten, namentlich Ofenarbeiten, wurden auch in früheren Jahrzehnten schon sehr gerühmt.
Die zahlreichen Ackerbürger bildeten früher eine Baugilde, deren Vorstand die Regulierung streitiger Grenzen, die Taxirung von Ackerstücken und Feldschäden zu besorgen hatte. Jetzt hat eine „Bauzunft“ genannte Abtheilung der Bürgerrepräsentanten, deren Vorsitzender der Kämmerer ist, die betreffenden Obliegenheiten wahrzunehmen.
Die Stadtfeldmark, welche sich hauptsächlich westwärts von der Stadt in der Richtung von Norden nach Süden erstreckt, hat durchgehends ganz vorzüglichen Acker, treffliche Ziegel- und Töpfererde, ansehnliche Eichen- und Buchenwaldungen und die Fischerei auf einem Theil des Penzliner Sees und auf allen Grenzseen, soweit man waten kann. Der Kämmerei gehört die in Erbpacht befindliche Wassermühle, die 1/4 Meile südwestlich der an einem Bache liegt, und der in Zeitpacht befindliche Stadthof, ein kleines, 1/2 Stunde von der Stadt gelegenes Ackergehöft. Die Stadt hält drei Krammärkte.
Der Magistrat besteht aus dem Bürgermeister und zwei Rathmännern. Über die Besetzung dieser Stellen besagt die Stadtordnung: „Ist die Stelle des Bürgermeisters eröffnet, so schlägt zu deren Wiederbesetzung der Magistrat der Landesregierung drei geeignete Männer vor, aus welchen diese einen erwählt und bestellt; vorher hat jedoch der Magistrat den Bürgerausschuß über die Qualification dieser Candidaten zu hören und danach sich etwa als ungeeignet ergebenden Präsentanten andere, gegen welche der Bürgerausschuß mit Recht nichts einwenden kann, zu wählen. Die Ratsherren hingegen werden in der Art erwählt, daß der Magistrat dem Bürgerausschuß drei qualificierte Candidaten in Vorschlag bringt und dieser davon einen auswählt.“
Der Bürgerausschuß besteht aus zwölf Repräsentanten, die derart gewählt werden, daß die Bürgerschaft dem Magistrat für jede Stelle zwei geeignete Bürger zur Auswahl präsentiert. Das Bürgerrecht wird von Bürgersöhnen gegen ein Bürgergeld von 15 Mark, von Nichtbürgersöhnen und Auswärtigen desgl. von 50 Mark erworben.
Das Siegel zeigt einen aufrecht stehenden gespaltenen Dreiecksschild, rechts einen halben Stierkopf.
Penzlin gehört mit Schwerin-Altstadt zu den beiden Orten Mecklenburgs, in denen noch die Gütergemeinschaft des Schweriner Rechts besteht. (M. s. S. 72).
Der Stadtcassenrechnung von 1890 ist zu entnehmen:
Einnahmen u.a.:
12.571 Mark aus der Forstwirthschaft
2.338 Mark aus der Torfwirthschaft
788 Mark aus der Beleuchtungssteuer
2.857 Mark aus der Eisenbahnsteuer
2.359 Mark aus Garten- und Ackerverpachtung
4.053 Mark aus Heugras
3.805 Mark aus Weidegeld
4.309 Mark aus Mühlencanon und Stadthofpacht
Ausgaben u.a.:
12.710 Mark für Gehalte
3.938 Mark Forstwirthschaft
4.595 Mark Torfwirthschaft
6.200 Mark Stadtschule
420 Mark Armenpflege
706 Mark Krankenhaus
869 Mark Straßenbeleuchtung
Der Gesammt-Einnnahme von 77.178 Mark steht eine Gesammt-Ausgabe von 55.649 Mark gegenüber. Daraus ergibt sich ein Überschuß von 21.529 Mark (~ 366.639 Euro).
Die mit reichem Grundbesitz dotirte Kirche, über die den Maltzan das Patronat zusteht, hat zwei Pfarrstellen.
An der Schule, die räthlichen Patronats ist, unterrichten 1 Rector, 1 Conrector, 6 Lehrer, 1 Assistent, 1 Lehrerin und 1 Industrielehrerin. Außerdem befinden sich hier eine Kleinkinder- und eine Privatschule. Von milden Stiftungen führt der Staatskalender die „Clara Willebrandsche Stiftung für Brustleidende zu Penzlin“ auf.
Über den Autor Wilhelm Raabe ist nur wenig bis nichts in Erfahrung zu bringen, doch sein Werk „Mecklenburgische Vaterlandskunde“ ist eine großartige Hinterlassenschaft. Die drei Bücher aus den Jahren 1857-1863 geben nicht nur einen Überblick über die Historie Mecklenburgs, sie beschreiben detailliert jeden einzelnen noch so kleinen Ort im Land. Die Bücher wurden nach dem Tode Raabes in den Jahren 1893-1895 überarbeitet, diese aktualisierten Versionen geben ein lebendiges Bild von der Organisation Mecklenburgs zur Zeit des Deutschen Kaiserreiches. Prädikat: Wertvoller Schatz.
Raabes originale Bücher wie auch die aktualisierten Versionen können bei der Universität Rostock als pdf heruntergeladen werden: http://rosdok.uni-rostock.de/resolve/id/rosdok_bundle_0000000031